Bots in der Medienbranche: Konkurrenz oder Dream Team?

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Braucht es noch Menschen in den Redaktionen von Medienunternehmen? Was können Bots heute – oder: Worin liegt die Überlegenheit der JournalistInnen? SUMO hat dafür mit Dr. Stefan Weber, dem Autor des Buches „Roboterjournalismus, Chatbots & Co.“ gesprochen.

Die Tür öffnet sich automatisch, sobald eine Lichtschranke durchbrochen wird. Im ehemaligen Newsroom keine Menschenseele. Stattdessen viele blinkende, leuchtende Lämpchen, aberhunderte von Knöpfen und tausende Schalter. Von einer Redaktion, wie sie früher einmal ausgesehen hat, ist kaum etwas zu erkennen. Es hat eher etwas von einem Flugzeug-Cockpit. Nur ohne PilotInnen. Ein einziges Büro ist durch Glaswände von dem Blinken, Leuchten und dem Piepsen abgeschirmt. Darin sitzt, ganz alleine, der Gatewatcher, er hat ein Auge darauf, was die Bots publizieren. Die Berufsbezeichnung JournalistIn gibt es für Menschen nicht mehr. Die Bots haben ihn für sich beansprucht. 

Ob das die Zukunft des Journalismus ist, kann heute niemand so genau sagen. Zugegeben, die oben beschriebene Szene klingt wie aus einem Science Fiction-Film Marke „Netflix-sucht-eine-Nische“. Was jedoch bereits heute Realität ist, das ist Egon. Der Fußball-Roboter der Austria Presse Agentur (APA), der wie von selbst Tabellen erstellt, Zusammenfassungen schreibt, Vorschauen verfasst, Tweets postet oder Spielberichte formuliert, all das angereichert mit den verschiedensten Visualisierungen. Laut APA erkennt er „Siegesserien, Durststrecken, mehrfache Torschützen, Zuschauerzahlen, Auswärts- bzw. Heimsiege, Führungstreffer, Goldtore, Platzierungen“. Wenn Egon, der Fußballroboter, dann auch noch die Spitznamen der Teams verwendet, ist er kaum noch von einem/r menschlichen JournalistIn zu unterscheiden. Und ja, diesmal befinden wir uns tatsächlich im Jahr 2020, im realen Alltag der APA.  

Was Bots können 

Mit der Frage, inwiefern Künstliche Intelligenz (KI) bereits in den Newsrooms der Nachrichtenunternehmen angekommen sind und ob JournalistInnen nun um ihre Jobs zittern müssen beschäftigt sich die Studie „New powers, new resposibilities“ der London School of Economics and Political Science (LSE) in Kooperation mit der Google News Initiative (2019). Mittels Interviews, Workshops und Unterhaltungen bei Journalismus-Konferenzen wurden die Meinungen von 116 JournalistInnen aus den verschiedensten Fachbereichen und Organisationen, wie Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Verlagen, Rundfunkveranstaltern oder Magazinen erhoben. Ein Ergebnis der Studie lautet, dass ein Motiv für die Einführung von KI in Medienunternehmen besser produzierte Inhalte sein, effektiver an die RezipientInnen heranzubringen, um in Folge dessen mehr Beteiligung seitens der LeserInnen zu erhalten und ihre Aufmerksamkeit und Zahlungsbereitschaft zu steigern. Laut dieser Studie wird Künstliche Intelligenz heute hauptsächlich in drei Gebieten des Journalismus eingesetzt: um Nachrichten zu sammeln, zu produzieren und zu publizieren. KI ermöglicht es JournalistInnen, Zeit in der Recherche einzusparen, denn mittels Algorithmen können Inhalte von öffentlichen und sozialen Medien bereits automatisiert durchsucht und kategorisiert werden. Weiters können diese automatisierten Prozesse dazu beitragen, JournalistInnen auf Trends aufmerksam zu machen, die sonst übersehen werden würden. Im Bereich der Sammlung von Nachrichten stellt die Automatisierung also eindeutig eine Bereicherung in der Medienarbeitswelt dar, und weniger einen Grund um seinen/ihren Job zu fürchten. Derzeit werden durch Bots Texte in den Bereichen Fußball, Verkehr und Wettervorhersagen automatisiert erstellt, auch Überschriften oder Zusammenfassungen von Presseerklärungen können durch Bots wie Egon bereits formuliert werden. Sogar Social Media-Postings werden bereits von Algorithmen verfasst. Für Echtzeit-Ticker können sie ebenfalls herangezogen werden. Im Bereich der Nachrichten-Erstellungen findet demnach eine Substitution der immer wiederkehrenden Prozesse durch Bots statt. Als Grammatik- und Rechtschreibhilfe können sie die menschlichen JournalistInnen auch in den anderen Bereichen der Text-Produktion unterstützen (sad, but true). Auch auf die Nachrichtendistribution hat Künstliche Intelligenz mit ihren Bots Einfluss: Automatisiert werden die Likes, Shares, Kommentare, Klicks, Verweildauer und vieles mehr analysiert und die Strategie zur Content-Erstellung eines Nachrichtenunternehmens perfekt auf die RezipientInnen und deren Wünsche und Bedürfnisse angepasst. Weiters können Bots heute bereits als Moderatoren in Foren von Medienunternehmen agieren und so die Beteiligung steigern. Außerdem ermöglichen Algorithmen die Ausspielung von personalisierten Nachrichten an bestimmte Zielgruppen. Auch wenn ebenfalls in diesem Gebiet einige journalistische Aufgaben durch Bots übernommen werden können, braucht es derzeit Menschen für die Planung, den Großteil der Ausführung, sowie das Überprüfen von Inhalten. 

Stefan Weber, habilitierter Kommunikationswissenschaftler, Autor und Publizist, fügt diesen Tätigkeiten noch das typisch österreichische „Gschicht aufreissen“ hinzu und bestätigt diesbezüglich ebenfalls, dass es im Moment Funktionen gebe, die genuin menschlich seien. Auch die durch die LSE befragten JournalistInnen gaben an, dass durch den Einsatz von Bots in Medienunternehmen auf der einen Seite zwar Arbeitsplätze substituiert, auf der anderen Seite jedoch neue geschaffen werden. Jedoch meinen sie, dass sie die Arbeit in Nachrichtenunternehmen generell verändern werden. Stefan Weber dazu: „Ich sehe es zurzeit nicht so im Ersetzungs-, sondern im Ergänzungsparadigma. Und das Ergänzungsparadigma ist ja eigentlich das Positive, das wollen wir ja alle.“ Alles in allem glauben auch die ProbandInnen eher an Veränderung als an Verdrängung. Diese Veränderung ist positiv behaftet, da sie mehr Effektivität und Effizienz im beruflichen Alltag von JournalistInnen ermöglicht.  

Die Zukunft von Bots in Nachrichtenunternehmen 

Die Studie „Journalism, Media, und Technology Trends and Preditctions 2019“ von Nic Newman vom Reuters Institute zeigt, dass 85% der Befragten glauben, die zukünftigen Anforderungen im Journalismus mit mehr JournalistInnen bewältigen zu können. 78% wollen in Zukunft auch in Künstliche Intelligenz investieren, um den Herausforderungen gewachsen zu sein. Auf die Frage über den Zeitpunkt des Einsatzes von KI antworteten 44% mit „It’s already happening“, 19% wollen im kommenden Jahr starten KI einzusetzen, 15% erwarten den Einsatz in ihrem Unternehmen innerhalb der nächsten zwei Jahre und 22% wollen die Einführung von Bots in den nächsten drei bis fünf Jahren ansetzen. Die meisten HerausgeberInnen haben vor, im kommenden Jahr mehr in KI und maschinelles Lernen zu investieren. Derzeit verfügen knapp ein Drittel der Nachrichtenunternehmen über eine Strategie bezüglich Künstlicher Intelligenz. In 68% der Fälle wird KI in Medienunternehmen eingesetzt, um die Arbeit von JournalistInnen effizienter zu gestalten. Ein weiterer Beweggrund (45%) für den Einsatz von Bots im Journalismus ist es, RezipientInnen relevantere Inhalte bieten zu können. 

20% der Befragten in der LSE-Studie geben an, durch Automatisierung ihre allgemeine Effizienz steigern zu wollen. Allerdings verfügen zahlreiche Unternehmen nicht über genügend Ressourcen, um Teil dieses Abenteuers sein zu können. Für die Zukunft gibt es in Bezug auf Bots in Medienunternehmen drei verschiedene Thesen. Entweder werden heute (1) bereits existierende Produkte verbessert, es werden (2) neue Produkte entwickelt und es gibt eine kleinere Revolution in der Nachrichtenbranche, oder (3) Innovationen und Experimente, die eine Umstrukturierung der gesamten Branche mit sich bringen.  Weiters wurden durch die Studie zehn Wege definiert, die MitarbeiterInnen der Medienbranche in Bezug auf die Veränderung von Journalismus durch Künstliche Intelligenz erwarten: 

  1. Bessere personalisierte Distribution von Inhalten 
  1. Mehr Effizienz, automatisierte Produktion von Inhalten 
  1. Dynamische Preise für Werbung und Abonnements 
  1. Mehr Geschichten in Daten, mehr Daten in Geschichten 
  1. Besser automatisierte Übersetzungen 
  1. Inhalte mäßig realisierbar machen 
  1. Erkennen von Fake News 
  1. Neue Möglichkeiten um aufzudecken 
  1. Verbesserung der Bild-/Video-Suche 
  1. Bessere Analyse von User Generated Content  

Andere Studien zeigen, dass Bots dazu beitragen können, es JournalistInnen zu ermöglichen, in Zukunft neue Arten von Texten generieren zu können und in Folge dessen ganz neue Arten von Journalismus entstehen vermögen. Künstliche Intelligenz kann in Zukunft ebenfalls helfen, Muster zu erkennen, soziale Probleme aufzuzeigen, Geschichten hinter Daten zu erzählen und Neuigkeiten aufdecken. „So eine Software könnte zum Beispiel ein Frühwarnsystem sein“, konstatiert der österreichische Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber. Bots machen es möglich, Texte zu publizieren, die ohne den Einsatz von derartigen Technologien, durch rein menschliche Ressourcen nicht verfasst und veröffentlicht hätten werden können. Was sich durch die Automatisierung der Medienbranche in Zukunft auf jeden Fall ändern wird, ist die Geschwindigkeit. Bots, wie das Reuters Tracer System erkennen zum Beispiel in 27 von 31 Fällen Breaking News um bis zu einer halben Stunde schneller als ihre menschlichen Mitspieler. Weber könnte sich sogar vorstellen, „dass Texte, die von Menschen verfasst wurden so eine Art Nische oder Exklusivität am Markt sein werden. Irgendwann.“  

Eine weitere Entwicklung in der Medienbranche, abseits von Roboterjournalismus, stellen virtuelle Moderatoren dar. Während in China ein Moderator mittels Computerprogramms nachmodelliert wurde, präsentiert in Japan eine animierte Nachrichtenmoderatorin die Nachrichten des Tages. Eine finnische Nachrichtenagentur hat eine Technologie entwickelt, die ihre Nachrichten automatisch auf Englisch und Schwedisch übersetzt.  

Was Bots jedoch (noch) nicht können  

Es gibt zahlreiche verschiedene Formen, Daten zu speichern. Damit Bots sie auswerten können, müssten diese allerdings gleich aufbereitet sein, und solange es keine standardisierte Aufbereitung von Informationen gibt, macht es den Einsatz von Bots kompliziert. Weiters sind nicht immer alle Informationen die JournalistInnen für einen Text heranziehen online verfügbar, oft nicht einmal digital. Stefan Weber meint im SUMO-Interview: „Eine gute Geschichte ist in der heutigen Zeit meistens eine, die einem schon von einem/r Informanten/in zugespielt wird“. Ein weiterer Nachteil von Bots, wie es sie heute gibt, ist, dass sie für einen bestimmten Sachverhalt programmiert werden. In Bezug auf Fußballmatches, den Verkehr oder das Wetter sind die automatisierten Kollegen nun eine große Hilfe, für einmalige Vorkommnisse können sie jedoch nur bedingt gebraucht werden. Oftmals zahlt sich der Einsatz von Bots erst ab einer Sichtung von 4.000 Dokumenten aus, denn davor ist es schlicht und einfach nicht rentabel. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist es ebenfalls noch unklar, wer für Fehler, die durch Bots passieren haftet. Eine 100%ige Richtigkeit kann auch von Künstlicher Intelligenz nicht erwartet werden. Sollte nun ein Schaden durch die Publikationen von Bots entstehen, muss die Verantwortlichkeit dafür geklärt werden. Sollte jeder Beitrag, der automatisiert entsteht und publiziert wird vor seiner Publikation durch Menschenhand geprüft werden, hat das große Einbußen in der Geschwindigkeit zur Folge. Es stellt sich ebenfalls die Frage, was die Bots als Nachrichten definieren. Gibt man einem Algorithmus vor, was als Nachricht deklariert wird, bringt das eine Art Diskriminierung mit sich. Statt nun den Bots zu sagen, was diese publizieren sollen, kann man ihnen Daten von Artikeln zu Verfügung stellen, die in der Vergangenheit von Menschen publiziert worden waren. Allerdings gibt es derzeit einen Überhang an Berichterstattungen über Verbrechen. Aus diesem Grund glaubt die Bevölkerung, dass die Verbrechensrate steigt, auch wenn eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Deshalb sollte durch Bots das ganze Nachrichtenwesen neugedacht werden.  

Auf die Frage was Menschen Bots überlegen macht, antwortet Stefan Weber: „Fragen Sie mich, ob ich glaube, dass eine Software jemals die Poesie haben wird, ein Buch wie Erich Kästner zu schreiben. Und da sage ich Ihnen: Nein. Wenn es darum geht, eine herausragende Literatur [zu verfassen], wird es eine Software jemals schaffen, wenn ich sie mit biografischen Daten füttere, so ein poetisches, lustiges Buch zu schreiben, wie Erich Kästner, […] da sage ich: nein.“  

Von Katja Müller