Geschichten die uns Bilder erzählen – Visualisierungen in den Medien

Pressefotografie

Oft ist uns gar nicht bewusst, welcher Aufwand und welche Gedanken hinter dem Design und den Visualisierungen in den Medien stecken, während wir diese rezipieren.

SUMO durfte hinter die Kulissen blicken und sprach dazu mit Norbert Küpper, welcher neben seinem Beruf als Zeitungsdesigner auch der Veranstalter des European Newspaper Award ist. Ebenso wurde Mads Nissen interviewt: Er hat 2015 und 2021 den Hauptpreis beim World Press Photo Award für das beste Pressefoto des jeweiligen Jahres gewonnen. Außerdem unterhielt sich SUMO mit Gerald Piffl, Produktmanager bei APA-Picturedesk und Archivleiter bei IMAGNO, dem größten privaten Bildarchiv Österreichs.  

Wenn man eine Zeitung oder ein Magazin aufschlägt, ist es heute selbstverständlich, dass die Seiten mit Bildern, Illustrationen, Infografiken, Karikaturen und anderen Grafiken geziert sind. Diese dienen dem Verständnis, wecken Interesse, lassen die Rezipient*innen emotionaler auf die inhaltlichen Themen reagieren und schildern den Sachverhalt bisweilen, ohne dass Rezipient*innen den Text überhaupt lesen müssen. Ein lebendiges Pressefoto ist oft wirksamer als eine reißerische Schlagzeile. Dies wurde auch durch eine Studie des Poynter Institutes for Media Studies in Florida belegt. Hier fand man bereits 1990 heraus, dass Zeitungsleser*innen nicht durch eine Schlagzeile in den Artikel einsteigen, sondern durch eine Visualisierung. 85 % der Proband*innen fingen zuerst mit dem Bild an, gefolgt von der Bildunterschrift, bevor die Schlagzeile überhaupt gelesen wurde. Die Ergebnisse zeigten zusätzlich, dass kein Element in Zeitungen so sehr Aufmerksamkeit erregen, wie Bilder und Grafiken. Auch Norbert Küpper konnte ähnliche Ergebnisse mit seiner Eye-Tracking-Studie generieren. „Ein Bild ist immer der Einstieg in eine Seite und auch in eine Geschichte. Selbst wenn ein unscharfes Bild hergenommen wird, hat es für den/die Leser*in unterbewusst noch immer eine sehr hohe Bedeutung. Man orientiert sich meistens an visuellen Komponenten, egal ob Bilder oder Infografiken“.  

Die Entwicklung des Fotojournalismus 

Es ist jedoch noch nicht allzu lange her, dass Zeitungen ohne Bilder gedruckt wurden. Pressefotos etablierten sich generell erst ab dem 20. Jahrhundert, davor wurden Kupferstiche und Zeichnungen verwendet. „Bevor Fotos gedruckt werden konnten, gab es Holzschnitte. Es wurde hierzu ein Foto als Vorlage gemacht und dann wurde anhand dessen von Xylografen ein Holzschnitt angefertigt, mit dem man dann druckte. Hier liegt auch der Ursprung der Bildagenturen. In den 1850er/60er-Jahren haben Verlage ihre eigenen Druckstöcke erzeugt, diese lizenzierten sie sozusagen und verkauften oder borgten diese Druckstöcke her“, schildert Archivleiter Gerald Piffl.  Den vermehrten Einsatz von Bildern in der Presse hatte man aber erst mit einem technischen Umschwung geschafft, in dem man es möglich machte, die Fotoapparate zu verkleinern und somit transportabler zu machen. „Die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘ hatte bis vor knapp zehn Jahren nicht einmal ein Bild auf der Titelseite. Es war eine merkwürdige Situation, dass das Visuelle bei vielen deutschen Zeitungen gar keine Rolle spielte. Im Vergleich dazu spielte in den Niederlanden, Skandinavien, aber auch in den USA das Bild schon vor mehr als 20 Jahren eine riesige Rolle“, erläutert Norbert Küpper. In Österreich wurde der Aufschwung der Pressefotografie jedoch durch Papier- und Tintenknappheit im Zweiten Weltkrieg wieder gedämpft. Erst als man in den Nachkriegsjahren wieder mehr Ressourcen hatte, rückten Visualisierungen, insbesondere Bilder, immer mehr ins Zentrum.  

Trotzdem hatte der Zweite Weltkrieg eine besondere Bedeutung für die weitere Entwicklung des Bildjournalismus in Europa. In der Kriegsberichterstattung waren die Grenzen zwischen Information und Propaganda fließend. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung in Deutschland war es damals wichtig, den Krieg als notwendig und sauber darzustellen, sowie die Soldaten als Helden. Pressefotograf*innen, die den Krieg anders darstellten um die Schattenseiten der damaligen Politik aufzuzeigen, drohte politische Verfolgung. Bilder und deren Inszenierung waren in dieser Zeit ein mächtiges Werkzeug, da die Menschen, die den Krieg von zu Hause mitverfolgten, dem was sie sahen, mehr glaubten, als dem was sie gehört oder gelesen hatten. Mit ausgewählten Bildern konnte man also den zu Hause verbliebenen Leser*innen eine Sekundärerfahrung ermöglichen, mit der sie sich in die aktuellen Geschehnisse besser hineinversetzen konnten. Somit war die Wahl des Bildmaterials, welches durch die Knappheit an Papier und Tinte ohnehin schon sehr begrenzt war umso wichtiger. Im Nachhinein wurde klar, dass die Darstellung des Krieges durch Bilder nahezu „romantisch“ war, aber mit den eigentlichen Geschehnissen nichts zu tun hatte. Die Darstellungen in den Zeitungen erreichten jedoch nicht nur die eigene Gesellschaft, sondern ebenso die Gegner und somit wurde, laut dem deutschen Politikwissenschaftler Herfried Münkler, aus der Kriegsberichterstattung ein Berichterstattungskrieg. 

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit wurde der Bildjournalismus stark von den Alliierten geprägt. Dies kann man vor allem in den veröffentlichten Materialien des Projekts “War of Pictures“, welches von Medienhistoriker Fritz Hausjell geleitet wird, erkennen. Da die Alliierten ihre eigenen Medien in Österreich aufbauten, beeinflussten sie die österreichische Medienlandschaften mit diversen Printtiteln. Vor allem auch wöchentliche Bildbeilagen von der US-amerikanischen Besatzungsmacht, wie zum Beispiel für den „Wiener Kurier“, prägten die österreichische Bildkultur. Hier dominierten Themen, die der Unterhaltung dienten und Reportagen über den Wiederaufbau. Es bürgerte sich der „American Way of Life“ in die österreichische Bildwelt ein. Das geschah nicht nur thematisch, sondern auch durch die Bildgestaltung. Man schweifte ab von der normalen Frontalperspektive und nutzte verschiedene Blickwinkel und Brennweiten, um die Geschehnisse spannender abzulichten. Die Entwicklungen flossen in absehbarer Zeit auch in den österreichischen Bildjournalismus mit ein und blieb bestehen. 

Etwas später fokussierte man sich dann immer mehr auf die Momentfotografie. Hier war es dann schon möglich Sportevents abzulichten. Man versuchte nun die Spontanität und die Bewegung abzubilden, trotzdem blieben die Bilder weiterhin sehr statisch. Bildreportagen gab es zwar vor dem Krieg bereits, musst aber wieder neu etabliert werden. Den nächsten großen Umbruch gab es in den 90er-Jahren, als die Zeitungen ihre Bilder in Farbe druckten, berichtet Piffl. Hier nahm plötzlich die Qualität der Bilder ab, da man vermutlich noch zu sehr an die hohen Kontrastmöglichkeiten von einer Darstellung in Schwarz-Weiß gewohnt war. Zum jetzigen Zeitpunkt gebe es laut Piffl ein unglaublich hohes Bildniveau in der Medienlandschaft, da Pressefotograf*innen durch den enormen Konkurrenzdruck gefordert werden. Deshalb spezialisieren sich viele Bildjournalist*innen gegenwärtig auf eine Nische, um nicht in der Masse unterzugehen. 

Die Entstehung eines Pressefotos 

Die Anforderungen an die Fotograf*innen werden immer höher. Das Medium Bild ist aktuell sehr populär, sowie in großen Massen vorhanden und das nicht nur im Bereich der Pressefotografie, sondern allgemein. Die Schweizer Forscherin Ulla Autenrieth (FH Graubünden) hat in ihrem Projekt zur Erforschung der Bilderwelt in den Sozialen Medien festgestellt, dass der Druck steigt, weil man auf „Facebook“, „Instagram“ und Co. als User*in mit außergewöhnlichen Bildern besonders hervorstechen will. Der Anspruch von vielen User*innen ist es nicht mehr, die Realität abzubilden, sondern entwickelte sich zu einer übertriebenen Darstellung von Ideal-Vorstellungen. Deswegen sollte das Pressefoto etwas an sich haben, damit es sich von dem alltäglichen Social Media Bild-Post abhebt und Rezipient*innen auf eine einzigartige Weise in die Geschichte beziehungsweise in die Berichterstattung hineinzieht. „I think that there should be something that speaks to you, something that will make your eyes stop and be attracted. It needs to be aesthetic, but different, so it speaks to the eyes, but it needs to speak to the brain as well. Maybe even a bit contradictionary, something you can´t really understand to make you curious and then it needs to speak to your heart”, erläutert Mads Nissen auf die SUMO-Frage hin, welche Eigenschaften für ein gutes Pressefoto essenziell sind. 

Er schildert, dass es darum gehe, eine Sekundärerfahrung für die Rezipient*innen zu gestalten und somit den Moment einzufangen und die Betrachter*innen des Bildes annähernd das fühlen zu lassen, was man selbst als Fotograf*in fühlt und somit den Moment wieder gibt, der bereits vergangen ist. Um den Moment auch akkurat wiederzugeben, sei es vorrangig, das Bild nicht zu manipulieren. Gerade durch den Einfluss von Social Media und die Realitätsferne der Darstellung des Alltäglichen dürfen sich Pressefotograf*innen nicht verleiten lassen, ihre eigenen Werke zu manipulieren. Nicht ohne Grund wird im Ehrenkodex des österreichischen Presserates festgehalten: „Fotomontagen und Bildbearbeitungen, die von flüchtigen Lesern/innen als dokumentarische Abbildungen aufgefasst werden, müssen deutlich als Montagen oder Bearbeitungen kenntlich gemacht werden.“ Auch wenn es inzwischen technisch leicht möglich ist, ein Bild durch Manipulation interessanter zu machen als es ist, sollten sich Fotograf*innen im Klaren sein, dass man durch diese Schritte die Wirklichkeit verfälscht und die Betrachter*innen in die Irre führt. Auch Nissen äußert sich zu diesem Thema: „I strongly believe in the ethics of classical journalism and I put a lot of effort that my work is truthful to make somebody see something that I saw, not just something I imagined. A lot of young people out there are a bit surprised how little I do to make my pictures look the way they do. People are so used to being able to manipulate themselves in their own photos, so when they learn how little me and some of my colleagues are actually doing, they are even a bit surprised.” Er selbst sagt, dass er nur den Kontrast und die Lichter ändere beziehungsweise anpasse, aber nie in das eigentliche Bild selbst eingreife.  

Um das Bild von Anfang an spannend zu gestalten, gehört viel Recherchearbeit dazu. Man möchte zum perfekten Zeitpunkt am richtigen Ort sein, um den perfekten Moment zu erfassen. Dazu gibt es verschiedene Herangehensweisen. „Some people say that you can either take pictures like a hunter walking around or like a fisher, where you stand in the same position and just have patience. I think  for me it’s a bit of both. In the end it’s not about pictures it’s about the people in the image. So most of the time I will stay in the same scene the same situation. I will take a lot of images from many different angles, to capture different moments and then I will carefully look at all the small differences afterward “, schildert der World Press Photo-Preisträger. Allgemein sollten Pressefotograf*innen laut Nissen nach dem Motto „dress boring and stay humble“ arbeiten, denn um die besten Bilder hervorzubringen, müsse man die Umgebung beobachten und sie nicht dominieren. 

Bildjournalist*innen unterscheiden sich jedoch nicht nur in ihrer Vorgehensweise, sondern auch durch die Themen, auf die sie sich spezialisieren. Mads Nissen ist ein Fotograf, der sozial-politische Themen aufgreift und dazu möglichst aktuelle und neue Perspektiven zu der ausgewählten Thematik aufzeigt. Er möchte etwas mit seinen Bildern aussagen und somit die Welt ein Stückchen mehr verändern. Beispielsweise zeigt er auf dem World Press Photo of the Year 2021 zwei Personen in einem Altenheim in Brasilien, die sich in der COVID-Pandemie das erste Mal wiedersehen und sich durch einen Plastikvorhang umarmen. Um so die Pandemie nicht nur in Zahlen und Fakten wiederzugeben, sondern eine Emotionalität zu vermitteln und die Schwächen der örtlichen COVID-Politik aufzuzeigen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch andere Pressefotograf*innen, die noch aktuellere Geschehnisse aufgreifen, wie einen Unfall, einen Anschlag, eine Demonstration oder möglicherweise auch eine Pressekonferenz. Auch hier geht es darum Emotionen hervorzurufen und die BetrachterInnen zu stimulieren. Das darf man nicht vergessen, auch wenn weniger Zeit für die Vorbereitung bleibt.  

Der Gestaltung noch mehr Bedeutung zukommen lassen 

Um die Vielfalt und Qualität der Gestaltung in den Medien zu gewährleisten und zu fördern, gibt es Preisausschreiben wie den World Press Photo Award, aber auch der European Newspaper Award trägt zu einer visuell stimmigen Medienlandschaft bei. „Beim European Newspaper Award geht es darum, dass man sieht, wie andere es machen und sich inspirieren lässt. Eine Zeitung, die völlig normal aussieht und bei der kein großer Wert auf Bilder gelegt wird, sowie keine Infografiken vorkommen, hat   keine Chance zu gewinnen. Es geht stark um die Bildfreundlichkeit und es muss funktional gestaltet sein. Es darf aber auch nicht übertrieben sein“, veranschaulicht der Herausgeber des Preises Norbert Küpper. Der European Newspaper Award fokussiert aber nicht nur allein auf Printmedien, sondern beschäftigt sich auch mit Websites von Medienunternehmen und Trends wie Podcasts. Beim letzten Durchgang des European Newspaper Awards wurden neben Layout und Design auch Fotografien ausgezeichnet. Es gibt unter anderem Kategorien für fotografische Serien, Portaitfotografie, Bildschnitt, Perspektive sowie Foto-Reportagen. Dabei werden immer die Fotografien im dazugehörigen textlichen Kontext bewertet, sei es Print oder Online.  

Der World Press Photo Award ehrt hingegen außergewöhnliche Leistungen in der Pressefotografie. „I think it’s a very efficient way to get your work out, because there’s no newspaper cover, there’s no magazine cover, there’s no TV station that has such an outreach as the word press photo of the year. I think most of the world’s population saw this image by now and hopefully reflected upon it”, erläutert Mads Nissen. Jedoch spricht er auch Bedenken aus, da viele Menschen sich an den Themen des Vorjahres orientieren würden und das vermutlich nicht nur, weil sie die behandelten Themen als wichtig empfinden, sondern weil es den Pressefotograf*innen um das Gewinnen selbst gehe. Bei diesen Preisen sollte laut ihm die verbildlichte Thematik im Vordergrund stehen und nicht der oder die Fotograf*in selbst. 

Auf den Spuren der Geschichte   

Pressefotos dienen jedoch nicht nur dem heutigen Verständnis. Als historischer Archivleiter von IMAGNO, dem größten privaten Bildarchiv Österreichs, ist es die Aufgabe von Gerald Piffl, den Bestand von über vier Millionen Bilder zu digitalisieren und seinen Kund*innen dabei zu helfen, mittels Bilder historische Ereignisse zu rekonstruieren. „Ich habe gerade ein Projekt zum Thema Sportfotografie, bei dem ich alte Bilder zu Fußballspielen heraussuche. Zum Beispiel war 1974 das erste Bundesligaspiel. Der Kunde hat gefragt, ob es vom allerersten Tor ein Foto gibt. Wir haben dann Negative vom ersten Torschuss gefunden und auf dem nächsten Negativ war die Uhr abfotografiert, sodass man sagen konnte, dass das Tor in der 14. Minute gefallen ist. Der Kunde war äußerst begeistert, denn das war vollkommen unveröffentlicht.“, schildert Piffl. Altes Bildmaterial kann uns daher helfen, Momente, die vielleicht damals noch vollkommen unbedeutend gewirkt haben, aber einen historischen Kern haben, nachzukonstruieren. Auch hier geht es wieder um die Sekundärerfahrung, da es Bilder ermöglichen, sich Sachverhalte besser vorstellen zu können und die Geschichte dahinter lebendig machen.  

Trends für die Zukunft  

Angesicht der meist rückläufigen Zahlen im Print-Bereich wird es spannend bleiben, wie die Arbeiten der Pressefotograf*innen und Grafiker*innen in Zukunft publiziert werden. Derzeit gibt es den Trend, dass man Nachrichten anhand von Podcasts rezipiert oder sich die Zeitung mithilfe einer digitalen Stimme vorlesen lässt. Norbert Küpper und seine Kollegen hatten es nie für möglich gehalten, dass sich diese Art der Berichterstattung durchsetzen würde und das Bildliche, in einer ohnehin schon sehr bildlastigen Welt, untergeht. Aber das gedruckte Medium Zeitung selbst entwickelt sich auch weiter. „In den Niederlanden zum Beispiel legt man weniger Wert auf die aktuellen Nachrichten in den Zeitungen, die zwar vorhanden sind, aber man sagt sich, dass das was gedruckt wird, man bereits im Internet gelesen hat und es keinen Sinn gibt, das zu wiederholen. Daher geht man hier oft zu anderen Themen über. Sie machen inhaltlich andere Zeitungen und haben oft sehr stark ausgebaut textliche Beilagen, zum Beispiel zu kulturellen Themen“, führt Norbert Küpper aus. Bei dieser neuen Form der Tageszeitung spielen Bilder wiederum eine wichtige Rolle, da sie laut dem Zeitungsdesigner ein wichtiger Verkaufsfaktor sind. Ob Komplementarität oder Konvergenz – das Visuelle wird bleiben. 

von Laura Sophie Maihoffer 

 Bild-Copyright: adobe stock / jcfotografo