„Ich habe heute leider kein Foto für den Terror“

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SUMO sprach mit dem Medienpsychologen Christian Gutschi über Fotos von TerroristInnen in Medien, die Auswirkungen intensiver Berichtserstattung über sie und die Nachahmungstheorie.

 

Nach den Terroranschlägen in Frankreich verkündete Jérôme Fenoglio, Chefredakteur der Tageszeitung „Le Monde“, zukünftig auf Bilder von TerroristInnen in ihrem Medium zu verzichten. Damit wolle man einer Glorifizierung dieser entgegenwirken. Insbesondere Fotos, die AttentäterInnen bei privaten Aktivitäten oder lächelnd zeigen, seien in solch einer Situation neben Todesanzeigen und Fotos von Trauernden unangebracht. Die Aufforderung, dass weitere Zeitungen dieser Entscheidung folgen sollen, löste eine Debatte rund um die Thematik aus. Weitere Medienunternehmen schlossen sich dessen an, auch der Vorschlag die Titelseite für solche Fotos zu sperren wurde herangetragen. Mediales Aufsehen erregte vor allem ein Foto des Attentäters von Nizza, der kurz vor der Ausübung des Terrorakts ein Selfie aus dem LKW machte, mit dem er wenige Minuten später in eine Menschenmenge raste. Nach einem Anschlag in München verzichtete die Berliner Boulevardzeitung „B.Z. am Sonntag“ bewusst auf die Abbildung des Terroristen. Stattdessen blieb die Titelseite weiß mit dem Schriftzug „Dein Foto kommt nicht auf unseren Titel!“ Der französische Radiosender „Europe 1“ fasste den Beschluss, auf eine namentliche Nennung von TerroristInnen zukünftig zu verzichten und stattdessen lediglich diese per Initialen zu nennen. Des Weiteren meinte der Redaktionschef des privaten französischen Fernsehsenders BFM-TV, es sei nicht vertretbar, Mörder als freundliche Männer zu zeigen, Opfer hingegen anonym bleiben zu lassen.

 

Die Nachahmungstheorie

Gemäß der Theorie des forensischen Psychiaters Antonio Preti käme es bei Amokläufen und Terrorakten vermehrt zu Nachahmungen. Gehe man davon aus, dass AttentäterInnen an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, würde mediale Aufmerksamkeit und die Berichterstattung solcher Taten dazu führen, dass potentielle NachahmerInnen eine Tat ausüben, um ebenfalls Aufmerksamkeit zu generieren. Eine von Michael Jetter 2015 in den USA durchgeführte Studie zum Thema „Terrorismus und Medien“ bestätigt die psychologische Theorie: Je intensiver in diversen Medien über Terrorakte berichtet wurde, desto mehr Anschläge der Terrorgruppe Al-Quaida ließen sich verzeichnen. Auch Gutschi vertritt im SUMO-Interview die Ansicht, dass mediale Berichterstattung oftmals als Aktivierung zur Nachahmung gesehen werden kann: Je weniger Aufmerksamkeit Medien einem Attentat widmen, desto mehr verschwinde der Reiz an der Ausübung solch einer Tat für AttentäterInnen. Demnach würde es hilfreich sein, wenn diverse Medien TerroristInnen in ihrer Berichterstattung keinen Platz bieten würden – in Form einer Anonymisierung, indem man auf Fotos dieser oder namentliche Nennungen verzichtet.

 

Bilder und Emotionen

Zu beachten sei laut Gutschi außerdem, dass Informationen, sobald sie mit Bildern verknüpft werden, weitaus wirksamer bei RezipientInnen ankommen, da sie im Gedächtnis mit Emotionen verankert sind. Bei Osama bin Laden, dem wahrscheinlich bekanntesten Terroristen des 21. Jahrhunderts, sei genau das passiert. Bis heute haben viele das gefälschte Foto von dem toten bin Laden vor Augen. Werden uns außerdem vorwiegend Fotos von AttentäterInnen arabischer Herkunft öffentlich gezeigt, so prägen sich jene Bilder als Prototyp ein. Gutschi sieht dies folglich vor allem für all jene mit arabischem Hintergrund von Nachteil, da sie dadurch anhand ihres Aussehens in das Schema des/der für viele RezipientInnen typischen Terroristen/in fallen. Durch das Verzichten auf die Veröffentlichung von Fotos der AttentäterInnen würde man also nicht nur jenen ihre Privatsphäre gewähren, sondern auch die arabische Bevölkerung vor einer Stereotypisierung schützen.

 

Private Informationen vs. Informationsaufgabe

Während für StraftäterInnen anderer Art oftmals vom Recht auf Privatsphäre zumindest in Qualitätsmedien Gebrauch gemacht wird, scheint dies für TerroristInnen nicht zu gelten. Jedoch stehen jene – vor allem, wenn sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Fotos noch flüchtig sind – im öffentlichen Interesse und sind beispielsweise durch das Publizieren von Suchfotos von hoher Bedeutung. Laut Gutschi rechtfertigen Medien das Veröffentlichen privater Informationen häufig als Nachgehen ihrer Aufgabe der Informationsversorgung. Allerdings ist hier klar zu differenzieren: Für den Medienpsychologen ist es nachvollziehbar, dass RezipientInnen ein Bedürfnis nach Hintergründen eines Terrorakts verspüren und dazu zählen für viele auch Fotos der TäterInnen. Aus soziologischer Sicht erscheint es für ihn legitim, wenn Medien die Entwicklungsgeschichte eines/einer TerroristIn beleuchten – das Privatleben dieser sollte aber nicht vorrangig in der Berichterstattung stehen.

 

Fazit

Wie viel der Verzicht auf Fotos von TerroristInnen in Medien tatsächlich bewirkt, ist fraglich. Was sich jedoch feststellen lässt, ist die Tatsache, dass die Vermeidung der Veröffentlichung diversen Materials über AttentäterInnen jeglicher Art dazu beiträgt, dass jener Reiz verschwindet, welcher viele Taten attraktiv macht: Aufmerksamkeit. Auch wenn hinter solchen Anschlägen weitere Hintergründe stecken, so belegt die Nachahmungstheorie, dass die Berichterstattung in Medien einen Einfluss auf die Ausübung von Terrorakten beziehungsweise auf die Anzahl dieser hat. Folglich ist es von großer Bedeutung, dass Medien nur gezielt ausgewählte Informationen über TerroristInnen publizieren. Fotos, die der Suche nach AttentäterInnen dienen, erfüllen durch Veröffentlichung ihren Zweck. Private Informationen sind jedoch in vielen Fällen überflüssig. Voyeurismus ist (auch) hier fehl am Platz.