Wirtschaftliche Probleme, Stellenabbau, schlechtere Kollektivverträge, schwierige Arbeitsbedingungen. Österreichs JournalistInnen kämpfen schon seit längerem mit den Schwierigkeiten des Marktes. Doch fürchten sie um ihre Anstellungen und ist ein Berufswechsel notwendig?
Darüber diskutierte SUMO mit AJOUR-Geschäftsführerin Lydia Ninz, der Journalistin Valentina Dirmaier sowie einer weiteren Journalistin.
Dienstag, 4. August 2020. In der APA-Redaktion in der Wiener Laimgrubengasse ertönt ein Signalton. Eine OTS-Meldung ist eingegangen. In einer Nachrichtenagentur nichts Besonderes. Aber diese Meldung aus dem Konzern mit dem roten Bullen verändert Österreichs Medienlandschaft: Die vom Gründer finanzierte Rechercheplattform „Addendum“ wird nach nicht einmal drei Jahren eingestellt. 57 MitarbeiterInnen sind plötzlich arbeitslos. Zeitgleich, nur zehn Gehminuten von der APA entfernt, findet im aufwendig renovierten Wiener Büro in der Siebensterngasse eine besondere Redaktionssitzung statt. In der sogenannten „All-Star-Sitzung“ werden Valentina Dirmaier und ihre KollegInnen davon unterrichtet, dass sie ab Mitte September ohne Job dastehen werden. Ein Schlag ins Gesicht. Zwar wurde in der Branche schon länger darüber gemunkelt, aber die Belegschaft wog sich in trügerischer Sicherheit. Fehlende Kurzarbeit und besonders gute NutzerInnenzahlen, die auf datenjournalistische Aufbereitungen wie der ersten österreichischen Corona-Ampel zurückgehen, machen den gewählten Zeitpunkt unverständlich. So ist die kurzfristige Entscheidung ein Schock. Wie unerwartet das plötzliche Aus ist, zeigt das Beispiel eines ehemaligen Mitarbeiters, der sich gerade in einer heißen Quelle entspannt hat, als ihn die Nachricht aus der Redaktion erreicht.
BeobachterInnen empfanden die Entscheidung aufgrund der EigentümerInnenstruktur nur als eine Frage der Zeit. Doch auch in anderen Medienunternehmen werden Stellen abgebaut. Große österreichische Medienunternehmen wie der ORF und die APA sehen sich aus Spargründen dazu gezwungen, MitarbeiterInnen zu entlassen. Seit 2007 mussten beim ORF 800 Beschäftigte gehen, bei der APA wird aktuell (Stand November 2020) geplant, 25 Stellen zu streichen. Letzteres wird von Protesten der Belegschaft sowie der JournalistInnengewerkschaft GPA-djp und der Betriebsräte/-rätinnen österreichischer Medien – darunter der Styria Group – begleitet. Diese Beispiele zeigen einen Trend, der auch im „Österreichischen Journalismus-Report“ des Medienhaus Wiens erkennbar ist. Denn vergleicht man den ersten Report aus dem Jahr 2007 mit den Daten von 2019, ist erkennbar, dass die Zahl der JournalistInnen rückläufig ist. So verminderte sich jene der hauptberuflichen JournalistInnen von 7.100 auf 5.350. Auch Vollzeitbeschäftigungen sind seltener geworden: In der ersten Ausgabe waren 76% aller JournalistInnen in Vollzeit angestellt, während das 2019 nur noch zu zwei Drittel der Fall war. Freie JournalistInnen hingegen blieben – obwohl diese Zahl schwer messbar ist – auf demselben Niveau: ca. 900 Freiberufliche treffen zwölf Jahre später auf ungefähr 600 bis 900. Diese Entwicklung beobachtet AJOUR-Geschäftsführerin Lydia Ninz mit Besorgnis: „Es werden immer weniger JournalistInnen, die immer mehr machen und deswegen passieren auch mehr Fehler. Dann gibt es mehr Kritik und die Glaubwürdigkeit der Medien innerhalb der Gesellschaft wird untergraben.“
AJOUR – Coaching für arbeitslose JournalistInnen
Solche Veränderungen konnten nicht nur mit Pensionierungen oder Wechsel des Berufsfeldes ausgeglichen werden. Laut AMS ist die Arbeitslosigkeit unter österreichischen JournalistInnen nach der Weltwirtschaftskrise 2008 von 410 auf 641 Personen gestiegen. Kontinuierliche Anstiege, zwischen 2015 und 2017 etwa in Höhe von knapp 10% folgten, bis 2019 die Zahl sogar bei 773 arbeitslosen JournalistInnen lag. In dieser Zeit ist auch die Idee für die AMS-Initiative AJOUR geboren worden. „Es hat sich schon vor sechs, sieben Jahren abgezeichnet, dass es im Journalismus zu Umbrüchen und zu Arbeitslosigkeit kommt“, erklärt Ninz. Gründe dafür seien die vielen angehenden JungjournalistInnen am Markt, der Abbau bei traditionellen Medien und die Entstehung neuer Medien, die komplett andere Qualifikationen voraussetzen. Einer internen Langzeitstudie zufolge seien die KundInnen von AJOUR vor allem abgebaute JournalistInnen. Darunter seien zwei von vier KundInnen schon seit mindestens einem Jahr arbeitslos. Die Personen seien sehr unterschiedlich, es sei „von allem etwas dabei“. Ein „ziemlich starker“ Cluster zwischen 40 und 50 sei aber schon bemerkbar. Jüngere KundInnen möchten sich oft neu orientieren.
Doch was bietet die Einrichtung? AJOUR ist ein Service, das arbeitslose JournalistInnen ein halbes Jahr lang mit einem passenden Coach zur Seite steht. Es werde versucht, die Situation der Person zu analysieren und deren Fähigkeiten und Potentiale zu identifizieren. Das Ergebnis sei offen, journalistische Arbeit genauso möglich wie ein Wechsel in einen ganz anderen Bereich. Ninz versteht den Fokus von AJOUR folgendermaßen: „Wir stehen auf der Seite der Menschen, aber nicht als FreundInnen oder als Familie, sondern als professionelle Coaches, die aus ihnen herausholen, was in ihnen drinnen steckt.“ Das beinhalte nicht nur Kurse und Coaching, sondern auch Hilfe für den Start in die Selbstständigkeit. Die Wirkung des Konzepts zeigen beispielsweise die Zahlen des letzten Durchgangs aus dem Sommer 2020. Von 80 gecoachten Personen fanden 42 Leute, deren Altersdurchschnitt bei 39 Jahren lag, nach diesem Coaching einen Job oder in die Selbstständigkeit. Davon blieben 31% dem Journalismus treu, der Großteil (57%) wechselte aber in einen mediennahen Bereich wie zu PR-Agenturen. Drei weitere Personen haben eine neue, längere Ausbildung, beispielsweise ein Doktoratsstudium, begonnen.
Unsicherheit, aber keine Angst
Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage, wie Österreichs JournalistInnen mit den Schwierigkeiten der Branche umgehen. Lisa (Anm.: Name geändert) arbeitet in einem Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis für eine Tageszeitung. Davor war sie auch als freie Journalistin und bei anderen Medien tätig. Derzeit sieht sie ihren Job nicht in Gefahr. „Ich glaube, ich verdiene so wenig, dass ich nicht wirklich auffalle“, schmunzelt sie. Trotzdem wisse man als JournalistIn, dass Medien immer wenig Geld und Ressourcen haben. Es handle sich aber immer um eine Frage der Prioritätensetzung des jeweiligen Mediums und darum, welche Stellung man intern habe. Das sei immer sehr subjektiv. „Von der Chefredaktion und der Redaktion werde ich sehr wertgeschätzt, deswegen habe ich nicht so die Angst, dass ich abgebaut werde“, konstatiert die Redakteurin. Allerdings schwinge die Unsicherheit immer ein bisschen mit. Das sei gar nicht so ein Problem, weil die Branche sehr schnelllebig sei. Sollte man einmal gefeuert werden, werde irgendwo anders wieder eine Stelle frei. Je länger man in der Branche sei und sich einen Namen gemacht habe, desto mehr Kontakte habe man und desto einfacher werde es, eine Alternative zu finden.
Auch Valentina Dirmaier hatte vor ihrem „Addendum“-Rausschmiss keine Angst um ihren Job. Sie habe den Job mit dem Wissen angenommen, dass es morgen vorbei sein könnte. „Es ist ein bisschen ein Spiel mit dem Feuer, weil jede/r irgendwie weiß, dass es vorbei sein kann, egal ob jetzt oder später“, findet sie eine passende Metapher für die damalige Situation. Zu Beginn der Covid19-Pandemie habe sie sich schon Gedanken zur Branchenentwicklung gemacht und überlegt, ob sie der Branche den Rücken kehren solle. Sie glaubt auch, dass einige KollegInnen schon ähnliche Pläne schmiedeten und „mit einem Auge zum Stellenmarkt geschielt haben“. Niemand habe bei „Addendum“ einen Job angenommen und geglaubt, dass es das Medium in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch gibt. Valentina Dirmaier und Lisa sind sich einig, dass bei etablierten Medien wie dem ORF, dem „STANDARD“ oder der „Presse“ eine längere Beschäftigung erwartet werden könne und deswegen die Angst weniger groß sei. Lisa denkt, dass die Grundangst bei allen ein bisschen da sei, deren Ausmaß aber stark vom Medium abhänge. Denn wisse man, dass es das Unternehmen in baldiger Zukunft nicht mehr geben kann schwinge immer eine Grundangst mit. Deswegen schaue man sich auch nach neuen Positionen um und sei die ganze Zeit „mit einem Zeh schon draußen“. Das beeinflusse auch die Produktqualität des Mediums. Dieses Phänomen fasst Dirmaier wie folgt zusammen: „Bei neuen Projekten, wo ein Geldgeber dahintersteckt, ist das Risiko eines schnellen Todes hoch.“
Befristete Verträge und einvernehmliche Lösungen
Lisa erzählt, dass JungjournalistInnen meist mit befristeten Verträgen oder als Karenzvertretung in ein Medium einsteigen. Diese Zeit nutze das Unternehmen, um einen besser kennenzulernen. Das sei für die JournalistInnen mit viel Druck verbunden, weil man sich in dieser Zeit beweisen müsse. Dennoch sei es eine gute Möglichkeit, die viele Leute auch nutzen würden – jedoch mit einiger Unsicherheit verbunden. Für ihre jetzige Stelle hat Lisa sogar einen anderen Job aufgegeben, bekam aber bereits zu Beginn gesagt, dass eine Übernahme „relativ wahrscheinlich“ sei. Einige ihrer jungen KollegInnen hingegen müssten bei jeder Vertragsverlängerung teilweise bis zum letzten Monat „zittern“, weil noch überlegt werde und Ressourcen herumgeschoben werden. Meistens finde sich dann doch noch irgendeine Lösung, weil die Branche in dem Sinn sehr flexibel sei, dass andere in Karenz gehen oder sich umorientieren und beispielsweise in die PR wechseln. Letztere Entscheidung hänge häufig mit der hohen Arbeitsbelastung zusammen. „Wenn man eine Zeit lang dabei ist, hat man schon das Gefühl, dass man immer mehr arbeiten und immer mehr Ergebnis bringen muss, ohne mehr bezahlt zu bekommen“, beschreibt Lisa den Druck. In der PR würden dann bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung erhofft werden.
Komme es zur Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen, werde immer versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Sollte die Zusammenarbeit nicht passen, werde das den Personen von den Medien „durch die Blume“ klargemacht. In diesem Fall versuche man die Person sanft abzuschieben. Das sei eher bei langjährigen MitarbeiterInnen der Fall, ob derer Verträge hohe Ablösen bezahlt werden müssten. Meistens stehe aber eine reine Ressourcenfrage dahinter. Dann werde häufig versucht, sobald die notwendigen Ressourcen beschafft sind, die Person wiedereinzustellen.
Auch die Jobsuche für JournalistInnen wird durch die Branchenprobleme erschwert. Praktika wurden 2020 von vielen Medien nicht besetzt. Valentina Dirmaier bewerbe sich, wenn der Markt etwas hergebe. Falls da nichts „Vernünftiges“ dabei sei, investiere sie lieber mit einem möglichen Rechtswissenschafts-Studium in ihre Bildung, das sich auch gut mit Journalismus verbinden ließe. Bei einigen Bewerbungsgesprächen sei ihr aber schon klar geworden, dass gewisse Stellen sehr schlecht bezahlt werden und man ab einem gewissen Alter nicht mehr so leben möchte. „Die goldene Ära des Journalismus ist vorbei“, ist sie sich bewusst und erinnert sich, dass sie das auch schon in ihrer Ausbildung zu spüren bekam. In jener Zeit sei der Kollektivvertrag neu ausgehandelt worden, folglich sei sie besser eingestuft worden. Mit einem Fixum von 700 € sei sie in ihr erstes Ausbildungsjahr gestartet. Gerade am Anfang setze man sich nicht zur Wehr, weil man befürchte, sich eine Tür für einen späteren Job zu versperren.
Alles, nur nicht frei!
Derzeit arbeite die ehemalige „Addendum“-Mitarbeiterin „aus Liebhabertum“ als freie Journalistin. Etwas, das sie nicht auf Dauer tun möchte. „Als freie/r Angestellte/r in Österreich ist es eine Katastrophe. Das Honorar ist wirklich gering, man wird pro Anschlag oder pro Zeichen bezahlt. Egal ob man sich eine Kolumne aus den Fingern saugt oder ob man auf Reportage geht“, zeigt Dirmaier Probleme auf. Auch die Abstimmung mit der Redaktion und das „ewige Hin und Her“ seien sehr mühsam. Von den Redaktionen werde auch oft vergessen, dass vom Honorar eigentlich eine Versicherung, eine Pension, eine Wohnung, Zusatzsicherungen und sonstige Kosten gedeckt werden müssen. Neben ihrem Studium könne sie sich so eine Tätigkeit schon vorstellen, aber nicht mehr als einzige Beschäftigung. „So kann man in Österreich kaum überleben. Man muss PR oder sonst etwas nebenbei machen. Für eine rein journalistische Tätigkeit ist die Landschaft zu klein“, weiß Dirmaier, dass auch die geringe Marktgröße zur Schwierigkeit beiträgt. Auch Lisa spricht bei freien Dienstverhältnissen von „extrem schlechter“ Bezahlung, weswegen viele Aufträge benötigt werden. Sie könne sich ebenfalls keine langfristige freie Tätigkeit vorstellen. Allerdings habe sie in dieser Zeit viel Organisatorisches und „Out-of–the-Box“-Denken gelernt. Als positiv merkt sie auch das große Netzwerk mit Kontakten in der Medienbranche und möglichen InterviewpartnerInnen an. Ein Netzwerk mit anderen Freien sei auch sehr wichtig, damit man auf deren Erfahrungen zugreifen kann.
In Anbetracht der schrumpfenden Zahl an fest angestellten Journalistinnen kann trotzdem nicht von einer Abschiebung in freie Dienstverhältnisse die Rede sein. Wenn Personen von einem Anstellungsverhältnis in jenes als Freie wechseln, passiere das meistens freiwillig. Gründe könnten zum Beispiel der Charakter, fehlende Zustimmung zur jeweiligen Blattlinie, ein größerer inhaltlicher Fokus als mediale Ressorts erlauben und keine Möglichkeiten für eine Festanstellung sein – oder aber unfreiwillig, weil ihnen gekündigt wurde.
PR als Rettung?
Ein Wechsel in die PR stellt für viele JournalistInnen eine Rettung vor all diesen Problemen dar. Das liege vor allem daran, dass sich die Berufsfelder nicht so ungleich sind. Valentina Dirmaier sieht darin aber keine Lösung und würde nur „ungern“ in die PR wechseln. Die einzigen Ausnahmen wären gewisse Projekte oder Start-Ups mit guten Ideen, Großkonzerne schließt sie aus. Eine der vielen JournalistInnen, die diesen Sprung wagten, ist Lydia Ninz. Nachdem sie mit 47 Jahren „abgebaut“ wurde, war sie als Pressesprecherin tätig. „Wenn ich weiß, wie JournalistInnen ticken, dann kann ich auch viel effizienter im PR-Bereich arbeiten“, stellt sie klar. Ein klarer Vorteil sei, dass man versteht „wie es in einer Redaktion zugeht“. Dann könne man auf der anderen Seite viel besser die Botschaften so entwickeln, dass es JournalistInnen auch interessiert. Das sieht Lisa auch so. Sie ist umgekehrt aus der PR in den Journalismus gewechselt. Die starke Verbundenheit der Berufe mit der Medienwelt und dass man die Zusammenarbeit im Arbeitsalltag schon kenne, seien ebenfalls positiv zu bewerten.
Momentan könne sich Lisa zwar keinen erneuten Wechsel vorstellen, aber wenn sich die Medien in ihrer neuen Funktion nicht zurechtfinden sollten, sei die Gefahr schon da, dies tun zu müssen. Mittelfristig fühle sie ihre Arbeitsstelle nicht so sehr gefährdet, aber langfristig sei natürlich jeder Medienjob ein bisschen bedroht. Dementsprechend seien die PR oder andere mediennahe Berufe für JournalistInnen schon immer alternative Berufe. Es bestünde immer eine Möglichkeit im Hinterkopf und in gewisser Weise auch ein „Sicherheitsnetz“. Dass viele JournalistInnen ähnlich denken, könne man daran sehen, dass viele in den PR-Bereich wechseln. „Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mir nicht so Sorgen mache. Es ist nicht so, dass ich nur das kann und ansonsten aufgeschmissen wäre“, denkt Lisa laut nach.
von Christiane Fürst