Von Sandra Kortschak
In Österreich herrscht akuter Pflegemangel im Gesundheitsbereich. Immer mehr medizinische Arbeitskräfte verlassen die Branche. Kann Künstliche Intelligenz dieses Problem lösen?
Der typische Tag einer Krankenschwester auf einer österreichischen Intensivstation beginnt mit der Dienstübergabe. Vorstellung der Patient*innen vom vorherigen Team. Dann werden die Patient*innen begrüßt. Im Laufe des Tages erfolgen die ärztliche Visite, Körperpflege, Blutabnahmen, Vorbereitung der Medikamente und Medikamentengabe. „Natürlich muss durch plötzliche Notfälle immer vom Schema abgewichen werden, doch die eigentliche Struktur bleibt bestehen“, sagt Viktorija Kaurin. Sie ist seit 2022 Intensivkrankenschwester in Wien und absolviert als solche täglich ein strammes Programm. Nicht nur wegen der mannigfachen Aufgaben, sondern auch wegen des massiven Personalmangels: „Wir haben insgesamt zwölf Betten. Acht Intensivbetten und vier IMCU-Betten (Überwachungsbetten). Zurzeit sind jedoch nicht alle Intensivbetten offen. Das ist mal das Erste, wo der Personalmangel zu spüren ist“, erzählt sie. Von möglichen 50 Personen in einem Team sind sie zurzeit nicht einmal 30 Krankenschwestern und
-pfleger.
Wenn viele Krankenstände anfallen, führe das zu einem noch größeren Mangel an medizinischen Arbeitskräften. Durch zusätzliche Dienste des bestehenden Teams werde versucht, dem entgegenzuwirken. Die Folge: eine noch größere Belastung und mehr Arbeitsaufwand.
Abhilfe durch Künstliche Intelligenz?
Das typische Bild einer Intensivstation ist ein Patient auf einem Bett, welcher von Dutzenden von Schläuchen und Geräten umgeben ist. Von der Herz-Lungen-Maschine, der Ernährungspumpe oder dem Absauggerät, bis hin zur Infusionspumpe, dem EKG und Dialyse-Maschine. All das ist auf einer Intensivstation zu finden. Laut Kaurin sind die aller wichtigsten Geräte der Monitor und ein Respirator. Der Monitor ermöglicht eine durchgehende Überwachung aller relevanten Werte, während der Respirator den*die Patient*in beatmet. Es gibt auch eigens konstruierte Weichlagerungsbetten, die durch eine Maschine gesteuert werden. Durch Druckverschiebungen in der Matratze wird der Patient bewegt, um Druckstellen zu vermeiden.
Narges Ahmidi ist Leiterin der Abteilung „Reasoned AI Decisions“ am Fraunhofer Institut für kognitive Systeme in München. „Wir arbeiten daran, die Schwächen und Stärken jeder neuen Entwicklung in der KI-Wissenschaft zu verstehen“, beschreibt die Wissenschaftlerin, die sich auf die Erforschung der Vertrauenswürdigkeit von Künstlicher Intelligenz (KI) spezialisiert hat, ihre Arbeit.
Ihre veröffentlichten Artikel werden in vielen Anwendungsbereichen, wie dem Gesundheitswesen, aufgegriffen und helfen ihnen dabei die richtigen Lösungen zu Problemen zu implementieren. Das Ziel von KI in der Medizin ist es, die Arbeit von Krankenschwestern und -pflegern sowie Ärzt*innen zu erleichtern. Durch Künstliche Intelligenz können und sollten ihrer Ansicht nach detaillierte Informationen über den Patienten gesammelt werden: „Es ist einfacher, Daten von Maschinen zu erfassen, als die Krankenschwester zu bitten, sie zu tippen oder aufzuschreiben“, sagt Ahmidi.
Allerdings sei der Weg dorthin kompliziert, da viele Faktoren, wie der Zustand des Patienten und die unterschiedlichen Medikamente, aufgegriffen werden müssten.
Entwicklungsprozess von KI-basierten Medizinprodukten
Wie werden diese KI-basierten Medizinprodukte überhaupt entwickelt und genutzt? Nach Ahmidi ist der Entwicklungsprozess ein sehr komplizierter, aber auch ein sehr geregelter Prozess. Der erste Schritt erfolge auf wissenschaftlicher Ebene. Ein Arzt kontaktiere einen Wissenschaftler mit einem konkreten Problem, welches er gelöst haben möchte. In Laufe mehrerer Monate werde eine Lösung entwickelt und in experimentellen Situationen geprüft. Schlussendlich müsse es zertifiziert und reguliert werden. Ein spezielles Zertifikat für KI-basierte Medizinprodukte gebe es laut der Wissenschaftlerin im Moment noch nicht. Die Produkte müssen den Sicherheitsstandards einer Software standhalten, sowie gegebenenfalls weiteren KI-spezifischen Standards entsprechen. Nachdem das Produkt auf den Markt gebracht werde, erfolge die Post-Market-Analyse. Hier berichten die Anwender, wie zum Beispiel Krankenschwestern, über ihre Erfahrungen mit dem Gerät.
Kaurins Erfahrungen zufolge gibt es Medizingeräte, welche leichter zu bedienen sind und andere, die komplexer aufgebaut sind. Es ist jedoch essenziell, dass auf jedes Gerät eine Einschulung erfolgt. „Wenn ein Problem auftaucht, muss das Problem auch beseitigt werden können“, meint sie dazu.
Die Krankenschwester erklärt, dass es kein Gerät gebe, welches rein automatisiert läuft. Somit müsse das medizinische Personal genau wissen, wie die unterschiedlichen Geräte zu bedienen sind, um Fehlerquellen zu verhindern. Ahmidi sieht als eines der größten Probleme auf einer Krankenhausstation das Aufrechterhalten des Informationsflusses an. Bei einem Schichtwechsel müssten alle Informationen der letzten Stunden an das nächste Personal weitergegeben werden.
Bleibt die Frage: „Wie kann man sicherstellen, dass die nächste Person alles über den Patienten weiß, sodass die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können?“
Ein System, welches dieses Problem löst und die Arbeit der Krankenschwester Kaurin sehr erleichtert, ist das Dokumentationssystem. Dokumentieren aller Tätigkeiten ist im medizinischen Personal essenziell, um wichtige Informationen zu sammeln und leicht an das andere Personal weitergeben zu können. Es ist eines der wichtigsten Aufgaben jeder Person im Medizinbereich. Das Patientendatenmanagementsystem, kurz PDMS, schafft eine Zusammenfassung aller relevanten Daten vom Bewusstseinszustand des Patienten, der Körperpflege, den verabreichten Medikamenten, dem Hautzustand und so weiter. Es hilft dem medizinischen Personal, den Überblick zu behalten und schafft durch reines Anklicken der Symptome eine zeitsparende Dokumentationsmöglichkeit. Weiters kann zusätzliche Information selbständig eingetippt werden. Das alles zusammen ermöglicht eine detaillierte Dokumentation und Informationsweitergabe an das nächste Team. Essenziell um Leben zu retten.
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Kann nun Künstliche Intelligenz dem Personalmangel in Krankenhäusern entgegenwirken? „Nein“, betont Kaurin. Dass KI-basierte Medizingeräte und -systeme dem medizinischen Personal helfen, sei unumstritten. Jedoch fehle einer künstlichen Intelligenz die Menschlichkeit, welche laut der Krankenschwester wichtig und ausschlaggebend ist für die gute Versorgung von Patient*innen.
Dennoch dürfte KI auch zukünftig in der Medizin eine große Rolle spielen. Im Gesundheitsjournalismus wird diese Thematik bereits seit mehreren Jahren immer wieder aufgegriffen. Viele Artikel befassen sich damit, wie KI im medizinischen Bereich eingesetzt werden kann oder bereits wird. Der Bericht Building the Hospital of 2030 von Aruba, einem Hewlett Packard Enterprise-Unternehmen zeigt mehrere Schlüsselprognosen für die Gesundheitsbranche der Zukunft auf. Hewlett Packard Enterprise ist ein US-amerikanisches Informationstechnikunternehmen, welches intelligente Lösungen und cloudbasierte Dienste anbietet. Laut der Studie könnten sich Patient*innen zukünftig durch App-basierte und tragbare Tools selbstdiagnostizieren und die eigene Gesundheit überwachen, ohne ein Krankenhaus aufsuchen zu müssen. Medizinisches Personal könnte Scans oder Patientenakten über mobile Geräte schnell auswerten und so Zeit einsparen. So können sie sich stärker auf die Patientenversorgung konzentrieren. Grundsätzlich wird KI immer wichtiger werden und auch die Bereitschaft, sich mittels Maschinen diagnostizieren zu lassen, wird zunehmen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Künstliche Intelligenz somit die Arbeit im Gesundheitswesen erleichtert. Jedoch darf die Menschlichkeit und die Personen dahinter nicht vergessen werden. Diese sind letztendlich unersetzlich.