Merkel, Hirscher, Avicii. Was verbindet diese Menschen? Sie alle machen Selfies. In den letzten Jahren haben sich die Selbstportraits von einem Jugendkulturphänomen zu einem alltäglichen Lebensbestandteil entwickelt. Bei Veranstaltungen, um FreundInnen zu beeindrucken, wen man nicht aller getroffen hat, auf Reisen das verliebte Pärchen am Eiffelturm, oder Eltern, die gerade einen Berg bezwungen haben – das Dasein muss nunmehr „selfish“ vermarket werden. SUMO interviewte dazu eine Agentur.
Selfies sind Selbstporträts ohne den Umstand, jemanden um ein Foto bitten zu müssen. In Mode gekommen sind sie durch Smartphones, die viele Bereiche des täglichen Lebens verändert haben. Allerdings ist Selfie nicht gleich Selfie: Es gibt unzählige Synergien von Kunstwörtern, wie „Dronie“ (mit einer Drohne aufgenommen), „Helfie“ (Haar betonend) oder „Drelfie“, vermutlich von einem Briten auf Pubcrawling-Tour erfunden, ein Selfie im betrunkenen Zustand.
Wie viele medientechnologischen und kommunikativen Trends hat auch der Selfie in diverse Marketingkampagnen Einzug gehalten. Für Petra Ackerl– Geschäftsführerin Social Media Communications der Kommunikationsagentur „Reichl und Partner“ – liegen die Gründe der Popularität von Selfies in der Einfachheit, Schnelligkeit und geringen Hemmschwelle der Selbstdarstellung. Von StudentInnen bis zu PolitikerInnen, alle erstellen Selfies. Gerade in der Medienbranche, in der Entertainment ein wichtiger Faktor ist, haben sich Selfies als ein beliebtes Instrument durchgesetzt, um zu demonstrieren, wie cool, lustig und vielfältig das betreffende Medium und seine MitarbeiterInnen und RezipientInnen sind.
Das Selfie und das Marketing
Aktiv genutzt werden Selfies im Marketing durch sogenannte Selfie Contests. Dabei stellen TeilnehmerInnen Selfies meist zu einem bestimmten Thema in das Internet und haben die Chance auf einen Preis. Markus Huber – ebenfalls Geschäftsführer Social Media Communications bei „Reichl und Partner“– setzte mit seinem Team schon zahlreiche Seflie-Kampagnen für namhafte Unternehmen wie Wiener Zucker, den Modellbahnhersteller Roco und Renault-Trucks um. Gerade bei starken Marken sind die Rückmeldungen aus der Community rund um das Unternehmen sehr hoch und vorwiegend positiv. Dies liegt laut Huber und Ackerl vorwiegend am geringen technischen Aufwand für die FotografInnen sowie der Attraktivität des zu gewinnenden Preises. Dass die FotografInnen ihr Recht am Bild meist mit dem Hochladen an das Unternehmen abtreten, ist die Kehrseite.
Wird der Selfie nicht über „Twitter“, „Instagram“ oder „Facebook“ gepostet, kommt ein eigens konzipiertes Programm zum Einsatz. Dieses Programm ermöglicht den Upload von Fotos auf einige Server. Dies bietet den Vorteil, dass man nicht auf Unternehmen wie „Twitter“ angewiesen ist. Gerade im Live Entertainment-Bereich kommt diese Technik in Verbindung mit einer sogenannten „Social Wall“ zum Einsatz. Eine Social Wall ist eine größere Videowall, auf der die geposteten Fotos zu sehen sind. BesucherInnen können sie direkt auf eine eigens eingerichtete Website, meist via App, hochladen. Um Missbrauch vorzubeugen, werden die Bilder oft mit Zeitverzögerung gepostet. Hier wird eine Gatekeeper-Funktion wahrgenommen, um unpassende Fotos rechtzeitig zu erkennen. Die Selektion der Fotos wird hierbei von MitarbeiterInnen durchgeführt. Falls die Realisierung nicht mittels einer Eigenkonzeption vonstatten geht, wird „Instagram“ bevorzugt verwendet, da im Gegensatz zu „Facebook“ alle Posts öffentlich zugänglich sind. Mittels der verwendeten Hashtags ist es durch eine Schnittstelle leicht, die gesuchten Fotos zu finden und zu publizieren.
Die Gefahren
Ackerl sieht jedoch auch mögliche Gefahren in der Nutzung von Selfie-Contests: Zum einen kann die Selbstdarstellung überhand nehmen. Zwar ist die Grundidee von Selfies die Selbstdarstellung, jedoch hat das werbetreibende Unternehmen ein begründetes Interesse daran, dass auch seine Produkte platziert werden. Andererseits kommt es zu negativen Kommentaren und Neid unter den Nutzerinnen, gerade wenn über die Selfies abgestimmt werden kann. Dies kann wiederum zu einem Imageschaden der beworbenen Marke führen.
Aufgrund der zunehmenden Instrumentalisierung von Selfies spezialisieren sich einige Agenturen auf Selfie-Marketing. Dies ist vor allem auf die Nutzerzahlen von Sozialen Medien zurückzuführen, da „Facebook“ in Österreich laut socialmediaradar.at mit Stand November 2015 rund 3,4 Millionen, „Instagram“ 340.000 und „Twitter“ rund 141.000 NutzerInnen verzeichnen können. Entscheidend für die Wahl der Plattform ist – laut einer Studie aus Deutschland vom Jänner 2016 – die Zielgruppe: Das jugendliche Publikum wird über „Instagram“ erreicht, „Facebook“ und „Twitter“ erreichen v.a. 18- bis 44-Jährige.
Das Selfie und die Zeitung
Eine etwas andere Nutzung erfahren Selfies durch Zeitschriften und Zeitungen. Einerseits sind sie eine günstige Form der Beschaffung visueller Inhalte, weil die abgelichteten Personen durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Mediums ihre Urheber- oder Verbreiterrechte an diese abtreten. Dadurch wird eine Veröffentlichung in Medien möglich, zum anderen binden solche Aktionen LeserInnen an das Medium. Auch hier gilt: Je höher der Preis und je bekannter die Marke, desto wahrscheinlicher eine erfolgreiche Umsetzung.
Das Selfie und die Zukunft
Und wie sehen die Social Media-ExpertInnen die Zukunft? Trends aus den USA benötigen, ehe sie Europa erreichen teilweise Jahre, und bis sie im Marketing eingesetzt werden, vergeht meist noch ein zusätzliches Jahr, so Markus Huber. Derzeit beobachtet man „Pinterest“. Jedoch sind Social Media-Plattformen für Agenturen erst ab einer kritischen Masse an NutzerInnen relevant, so die Conclusio.